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Der Tanz der Buchstaben

Vor meinen inneren Augen sehe ich sie immer noch vor mir: Die Magnetplatte mit den Buchstaben, mit denen ich schon als kleines Kind spielte. Das P ist grün, das D auch. Aber O und U sind gelb, und mein Lieblingsbuchstabe Y ein grelles Rot. Diese Farben haben die Lettern bis heute in meinen Kopf.

Aber Buchstaben sind nicht nur farbige Zeichen. Buchstaben sind Klänge, sind Sprache. Das Tor zu einer Zauberwelt, einem Schlaraffenland.

Buchstaben sind Lautmalerei. So ist Haha eine kunterbunte Explosion von Freude, hihi deren kleine schüchterne Schwester und höhö der grosse schadenfreudige Bruder. Iiiih ist Ekel pur. – Siehst du den grünen Rotz?
Pfu-iii ist die kalte Hundeschnauze und Ng-ng-ng kochtopfrote Wut.

Buchstaben tanzen wie Schmetterlinge über dem Lavendel – Garten meiner Seele. Tag und Nacht feiern sie vor meinen Augen ein Fest. Sie sind meine imaginären Freunde, die mir zu Zeiten und Unzeiten zurufen: „Komm und spiel mit uns!“ Sie locken mich, verführen mich dazu, sie zu umfassen und zu tausenden neuen Kombinationen zusammenzufügen.

Buchstaben setzen Grenzen. Das sanfte Knallen des P’s sagt: „Stopp! Komm nicht näher!“ „Hallo“ hingegen ist eine sanfte und einladende Umarmung.

Andere joggen oder stricken zur Entspannung. Ich lese oder schreibe.

Buchstaben beruhigen mich. Immer. Wenn das Chaos im Hirn ein schwarzes Knäuel zusammengeknautschter, nasser, zerraufter Schafwolle ist, dröseln Buchstaben und Wörter das Durcheinander zu einzelnen zu bewältigenden Fäden auf. Ist der Alltag unerträglich, streicheln die Wörter mein Hirn rufen ihm zu: „Das Leben ist doch schön.“

Musik kann laut und störend sein, menschliche Stimmen schrill und kratzig. Aber Buchstaben sind immer angemessen.

Buchstaben rufen Bilder und Stimmungen hervor, wie Abendrot und Sturmwolke.

Tulpe, Banane, Blatt und Regentropfen sind klaren Farben und Formen zugeordnet.

Es gibt kurze Wörter, die aber im Kern kompliziert sind wie ich und du. Es gibt kleine Wörter die grosse Auswirkungen haben so wie Ja und Nein.

Viele beschweren sich über die Gross- und Kleinschreibung im Deutschen. Dabei empfinde ich die Grossbuchstaben als besonders ästhetisch. Sie beschreiben konkrete Dinge wie Ähre oder abstrakte Begriffe wie Geborgenheit. Man braucht sie für die Namen von geliebten Menschen oder von exotischen Orten, die man noch bereisen möchte.

Mit Buchstaben kann man sogar rechnen. Aber wer will das schon, wenn man immer noch neue Wörter damit formen kann, die man bisher nicht gekannt hat, wie „Petrichor“ und „Koryphäe“?

Andere Menschen denken in Bildern oder Zahlen. Ich denke in Buchstaben.

Wenn ich mir langweilige Dinge anhören muss, wie zum Beispiel eine Predigt mit einem Haufen mansplaining drin oder einen Vortrag über steuerliche Vorteile der Innerschweizer Kantone, zeichne ich das Alphabet auf und schon eröffnen sich mir fantasievolle Welten, in die niemand sonst Zutritt hat.

Als ich mal jemandem gestand, dass ich zu Hause heimlich den Duden lese und nebenher noch den „Oxford Dictionary of English“, starrte die Person mich entgeistert an, als hätte ich einen an der Waffel. Und ich verteidigte mich stotternd: „Aber … Wörter … weisst du?“ Ich rümpfe ja schliesslich auch nicht die Nase über Menschen, die den Wirtschaftsteil der Zeitung lesen oder – heaven forbid! – ein Modemagazin.

Und wenn ich dann denke, die deutsche Sprache ist doch endlich, da geht nichts mehr, lassen sich die Buchstaben noch in tausenden anderen Sprachen zu Kombinationen zusammenfügen, die das Herz so noch nicht kannte und immer wieder von Neuem erfreuen.

Was für schöne Worte sind zum Beispiel pyykkipoika (Wäscheklammer auf Finnisch), oder imperméable (Regenschutz auf Französisch; wörtlich wasserundurchlässig) oder amore (Liebe auf Italienisch). Ui ist die Zwiebel auf Niederländisch, maji heisst Wasser auf Suaheli oder dann doughnut (wörtlich: Teignuss) das köstliche, zuckersüsse Gebäck aus Amerika.

Da möchte ich gleich einen Spaten schultern und auf den Acker der Weltsprachen ziehen, um dort ein bisschen zu buddeln. Ich kann mir kaum ausmalen, was für unentdeckte Schätze in den Sprachen schlummern, die sich mit lateinischen Zeichen nicht ausdrücken lassen.

Photo by Anders Nord on Unsplash

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Initiative

English version below

Es mag eine Herausforderung sein, Initiative zu ergreifen. Besonders, wenn es im Persönlichkeitsprofil nicht zuoberst steht.

Wenn man etwas Neues beginnt, etwas erschafft, hält man seinen Kopf zum Fenster raus, exponiert sich – und man erhält automatisch eine Reaktion von seinem Umfeld. Höchstwahrscheinlich auch noch Kritik. Denn es ist so viel einfacher, etwas Bestehendes zu kritisieren, als etwas Neues zu schaffen.

Veranschaulicht wird das mit dem Bild eines Babys. Zuerst lernt es, bereits Gebautes einzureissen; es bedarf einer grösseren Fähigkeit, selbst Bauklötze zu einem Gebäude aufzutürmen.

Deshalb – so habe ich herausgefunden – ist es am besten, wenn man alles aus Begeisterung oder gar Leidenschaft schafft, und nicht, um anderen zu gefallen.

Der Plan und die Ausführung müssen nicht perfekt sein. An allem, was man schafft, soll man lernbereit bleiben.

Deshalb meine Herausforderung für 2020:

  • Ergreife die Initiative!
  • Erschaffe etwas Neues!
  • Halte den Kopf aus dem Fenster! Trau dich! Und lasse dir den Wind des Lebens um die Ohren pfeifen!
  • Wandle Kritik in Wachstum um!
  • Und wenn niemand mitmacht? Gehe ein Stück deines Weges allein, und freue dich selbst an dem, was du geschaffen hast!

Alles Gute fürs neue Jahrzehnt 2020-2030!!!

It might be a big challenge to take initiative. Especially, if “being pro-active” is not on top of your personality profile list.

If you start something new – create something – you stick your neck out and expose yourself. And automatically you get a reaction from the outside world. Highly probable it is criticism.

It is so much easier to criticize something which is already there, instead of creating something new.

We see this so clearly in children. First they learn to destroy things which are already built. They need to improve their skills to pile up towers and houses with building bricks by themselves.

I found out that it is best to create everything out of enthusiasm and passion, and not to please others.

The plan and execution don’t have to be perfect. Stay willing to learn on everything to do.

Here is my challenge for 2020:

  • Take initiative!
  • Create something new!
  • Stick your neck out!
  • Turn criticism into growth!
  • What if nobody cares? Walk a part of the road alone and enjoy everything you created!

HAPPY NEW DECADE 2020-2030!!!

Photo by Jingda Chen on Unsplash

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Klatschweib

Eine Wortstudie

Wo zwei oder drei Menschen, vornehmlich weiblichen Geschlechts, beisammen sind, da ist es mitten unter ihnen. Das Klatschen.

Mit diesem Klatschen ist nicht die Bedeutung gemäss Duden Definition 2 a) gemeint, wo steht: die Innenflächen der Hände [wiederholt] gegeneinanderschlagen, sondern die Definition 4 a): in geschwätziger Weise [über nicht Anwesende] reden.

Wie oft habe ich selbst in der Nicht-Anwesenheit einer Person meine Sätze folgendermassen angefangen: „Hast du gesehen, wie der … ?“ oder „Kannst du glauben, dass die … ? Imfall!“
Wie vertraut bin ich mit meinem klatschenden Ich und möchte ihm ab und zu gerne eine klatschen  gemäss Definition 3 a): mit der flachen Hand klatschend schlagen.

Mein inneres Klatschweib wird nämlich in der Regel von drei Motoren angetrieben:

  1. Unzufriedenheit: „Andere jetten rund um die Welt und schwimmen im Roten Meer, während ich knietief durch die Spielsachen im Wohnzimmer wate.“
    Oder: „Berufskolleginnen hauen pro Jahr ein Buch raus und ich kann mir während Monaten kaum einen vernünftigen Satz aus dem Ärmel leiern.“
  2. Langeweile und die Sensationsgeilheit, die daraus resultiert: Aus Zwecken der Unterhaltung hechele ich mit anderen den gesamten gemeinsamen Bekanntenkreis durch. Frau möchte ja informiert sein!
  3. Minderwertigkeitskomplexe: Es gibt Tage, da schreit die Liste meiner Unfähigkeit als Hausfrau und Mutter nicht nur zum Himmel, sondern sie reicht auch bis dahin.
    „Schnell! Reden wir doch darüber, was alle anderen falsch machen, dann fühle ich mich besser.“ Für eine Sekunde oder so.

Wenn ich glaube, das klatschende Biest endlich weggesperrt zu haben, gerate ich gewiss in ein Kuddelmuddel unzufriedener Frauen. Und wie so oft gehen mir erst die Augen bzw. die Ohren auf, wenn ich es von anderen höre.

Meine Seele übergibt sich dann ein kleines bisschen und ich möchte die Faust auf den Tisch klatschen  gemäss Definition 1 a): ein [helles] schallendes Geräusch durch das Aufschlagen von etwas [weichem] Schwerem auf etwas Hartes von sich geben.

Ach, hätte ich doch dann den Mut, in die Runde zu schreien: „Mädels! Echt jetzt? Haben wir es nötig? Wenn ich uns anschaue, sind wir, jede auf unsere eigene Art wunderschön, haben tolle Charakterstärken und einzigartige Fähigkeiten.“

Und ich möchte mit Schwung die Liste ausrollen, die ich mir selbst immer lese:

  • Fokussiere deine Kreativität auf deine eigenen Stärken! Wenn dir keine einfällt, frag eine Person, die dir nahe steht, oder gehe zum Coach.
    (Der Motor der Unzufriedenheit fällt aus.)
  • Worin bist du bereits gut? Setze alles daran, darin hervorragend zu werden! Vertiefe diese Fähigkeiten und verfeinere sie! Plötzlich hast du keine Zeit mehr, wie ein Geier auf das Leben anderer zu starren und jede Bewegung zu beurteilen.
    (Der Motor der Langeweile verabschiedet sich.)
  • Lebe deine Begabung nach deiner Kraft an deinem Platz aus, und vergleiche dich nicht mit Madame XY und Mister Der-Sowieso-Alles-Besser-Kann!
    (Der Motor der Minderwertigkeitskomplexe sagt Ade.)

Anstatt Schlechtes zu reden, möchte ich lieber ein Klatschweib nach der Definition 2 c) sein: Durch Klatschen seine Zustimmung, Begeisterung ausdrücken; applaudieren.

Ich applaudiere an dieser Stelle bewusst für andere Frauen: meine Mutter, meine Töchter, meine Schwestern, meine Freundinnen, Arbeitskolleginnen, Nachbarinnen und verneige mich vor ihren Fähigkeiten.

So klatsche ich nämlich am liebsten. Und wie klatschst du?



„Die Menschen haben es gelernt, wilde Tiere, Vögel, Schlangen und Fische zu zähmen und unter ihre Gewalt zu bringen. Aber seine Zunge kann kein Mensch zähmen. Ungebändigt verbreitet sie ihr tödliches Gift. Mit unserer Zunge loben wir Gott, unseren Herrn und Vater, und mit derselben Zunge verfluchen wir unsere Mitmenschen, die doch nach Gottes Ebenbild geschaffen sind. Segen und Fluch kommen aus ein und demselben Mund. Aber genau das darf nicht sein! Fliesst denn aus einer Quelle gleichzeitig frisches und ungeniessbares Wasser?“

Die Bibel in Jakobus 3, 7-10

Photo by Ben White on Unsplash