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Unzufrieden?

Na? Heute schon unzufrieden gewesen? Ich schon! Und zwar mit meinen Kindern. Weil diese wiederum unzufrieden waren mit dem Essen, das ich ihnen aufgetischt habe.

Jaja, ich weiss ja, dass man die Kinder nicht zum Essen zwingen soll und dass ihre Geschmacksknospen sich erst mit der Zeit vollends entwickeln und blablabla …

Aber heute ist mir echt der Kragen geplatzt. Ich bin nicht Köchin aus Leidenschaft. Ich stelle das Essen auf den Tisch, weil jemand es tun muss und weil die Kinder sich halbwegs gesund ernähren sollten et cetera.

Und ja, ich zermartere mir pausenlos das Gehirn, von dem Moment an, wenn ich das Essen aus dem Einkaufsregal nehme und in den übervollen Einkaufswagen stopfe, bis zu dem Zeitpunkt, wenn ich vor dem geöffneten überbordenden Kühlschrank stehe und mir den Haarboden wundkratze, weil ich etwas Fantasievolles zaubern möchte, mir aber beim besten Willen nix einfällt, das ich in den letzten zwei Wochen nicht schon zigmal gekocht habe.

Heute ist Sonntag. Der Sonntag, an dem andere die Füsse hochlegen, aber Mutter trotzdem das Essen auf den Tisch stellen muss. Ich habe nicht mal eine schlechte Idee: Gefüllte Paprika mit Hackfleisch, das an anderen Tagen auch schon von allen klaglos gegessen wurde. Ich habe während des Kochprozesses Freude an meinem neuen Backofen, der jetzt endlich hält, was er verspricht. Ich stelle das Backblech auf den Tisch – und dann geht’s los:

„Was ist das? … So wenig Auswahl? … Ich habe die Zwiebeln nicht gern … Es ist zu heiss … Ich habe das Hackfleisch nicht gern … “ Und dann schlürfen sie schon mal gemächlich ihr Sirüpchen, als würde plötzlich wie durch ein Wunder etwas anderes auf ihren Tellern erscheinen, wenn sie nur noch genug lange warten.

Der Gipfel ist erreicht, als meine Dreijährige eine Paprika vom Teller nimmt, sie schüttelt und das Hackfleisch uns allen um die Ohren fliegt.

Wut dreht eine brennende Spirale meine Speiseröhre hoch und äussert sich dummerweise in Tränen. Die Stimmung kippt schlagartig auf Alarmstufe Rot. Wie immer, wenn Mami weint. (Ach, die liebe Dünnhäutigkeit … Was gäbe ich in einem solchen Moment um ein Pokerface!)

„Warum weinst du?“, piepst eine der zwei Delinquentinnen ganz vorsichtig.

„Weil ich wütend bin“, antworte ich ehrlich.

„Auf wen?“

„Auf euch!“

Und das lasse ich einfach mal eiskalt so im Raum stehen.

Papi erläutert dann der betroffenen Nachkommenschaft meine schroffen Worte, erklärt geduldig und leistet Schadensbegrenzung.

Wie dankbar bin ich um seinen kühlen Kopf. Denn in der Wuthitze brauche ich meine restliche Selbstbeherrschung, um nicht den vollen Porzellanteller an die weisse Wand zu deppern. Ich habe keine Luft für vernünftige Erklärungen.

Nach kurzer Zeit merke ich, dass ich eigentlich nicht wirklich auf die Kinder wütend bin. Denn sie spiegeln ja nur das wieder, was ihnen vorgelebt wird. Von uns. Als Eltern. Als Gesellschaft.

Ich bin auch nicht so sehr verletzt, weil die Arbeit meiner Hände einmal mehr nicht gewürdigt wird. (Undankbarkeit ist nicht schön, aber irgendwie Teil des Jobs.)

Aber ich bin wütend auf das grosse Ganze. Auf uns Schweizerinnen und Schweizer, weil wir so unverschämt reich sind. Wir sitzen in einem Füllhorn von Nettigkeiten und drehen trotzdem durch wegen der Aussicht, dass ein Lieferengpass für eine von 45 möglichen Müesli-Sorten bestehen könnte.

Ich bin wütend, weil ausserhalb unserer Seifenblase, Menschen buchstäblich an Armut und Hunger verrecken und wir so erfolgreich darin sind, diese Tatsachen zu verdrängen.

Wir sorgen uns um unser eigenes kleines Leben und unser kleines Gärtchen mit dem Zaun drum herum. Dabei muss in der Notsituation unser Ueli nur wieder mal sein Staatskässeli schütteln, dann fallen wieder ein paar Milliärdchen mehr raus – und gut is‘.

Und während ich nach Worten ringe, wie ich den Kindern erklären soll, was in mir vorgeht, nehme ich sie auf den Schoss und erzähle ihnen die Geschichte vom kenianischen Mädchen, nennen wir sie Ndanu.

Ndanu war etwa vier Jahre alt, als ich sie kennenlernte. Sie kam jeden Morgen einen weiten Weg zu dem Kindergarten, in dem ich damals aushalf.

Die Kindergärtnerin überliess morgens Ndanu und ihre Kameraden etwa eine Viertelstunde meiner alleinigen Obhut, um in ihrer Küche einen unansehnlichen Brei zu kochen, den sie den Kindern zum Znüni in farbigen Bechern servierte. Ich probierte einmal eine Messerspitze voll. Es war eine lauwarme geschmacklose Pampe von hellbrauner Kotz-Konsistenz.

Niemals vergesse ich Ndanus Gesicht, die einen Schluck von der Sosse nahm, und mich dann mit einem Mäusezähnchen-Lächeln anstrahlte. Es schmeckte ihr, das war offensichtlich.

„Es ist für viele die einzige warme Mahlzeit am Tag“, informierte mich die Kindergärtnerin.

Der Kontrast dieser strahlenden Augen wegen einer erbärmlichen Mahlzeit, zu dem unzufriedenen Gemecker meiner Kinder in Anbetracht einer üppigen Mahlzeit könnte nicht grösser sein – und ist wie ein Schlag in die Magengrube.

Wie kann ich meinen Kindern beibringen, dass wir eigentlich in einer Fake-Welt leben? Dass wir zu einer minimalen Oberschicht gehören, die in Saus und Braus lebt und doch niemals genug hat? Das unsere Kaninchen besser essen, als viele Kinder in anderen Teilen dieser Welt. Wie kann ich sie sensibilisieren, ohne ihnen unnötige Schuldgefühle einzuimpfen? Denn niemand von uns kann etwas dafür, dass wir so privilegiert geboren sind.

Hilflos überlege ich, was ich denn überhaupt in meiner bevorzugten Stellung machen kann, um Armut und Hunger zu lindern.

Soll ich Geld spenden? Nützt es, wenn ich (nach der Corona-Pandemie) Leute in armen Ländern besuche?

Gibt es überhaupt noch Hilfsorganisationen, die nicht korrumpiert sind? Gibt es noch Menschen und Firmen, die uneigennützig ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit und ihren Wohlstand anderen Menschen helfen?

Wenn ich mich selbst anschaue, wenn ich einen Blick in die Welt mache, zweifle ich stark daran und finde heute keine Antwort darauf. Was bleibt ist die Wut – und die Unzufriedenheit.

Photo by James Fitzgerald on Unsplash

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Die Vogelbeerdigung

Photo by Zoya Loonohod on Unsplash
English Version below

Heute will ich gemeinsam mit den Kindern den Hamsterkäfig reinigen. Nachdem wir alles ausgebreitet haben, entdecken wir neben der Fensterscheibe eine kleine Kohlmeise, die mit gebrochenem Genick mausetot im Gras liegt.

Meine fast Sechsjährige ist am Boden zerstört. Sie steht zehn Minuten am Fenster und heult: „Vögeli… Vögeli… Vögeli…“ und lässt sich durch nichts beruhigen.

Inspiriert von einem Buch, das ich kürzlich gelesen habe (wohlgemerkt: es war ein Roman und kein Ratgeber), lesen wir den Vogel vorsichtig auf, pilgern an den zahlreichen Haufen vorbei, die die Nachbarskatzen hinterlassen haben, und betten den Vogel im Kompost zur letzten Ruhe. Den gebrochenen Körper umrahmen wir mit zwei Blümelein und den Vogelzeichnungen, die die Kinder extra anfertigen.

Wir sprechen ein Gebet, sagen ein paar nette Dinge über den armen, schönen Vogel und singen inbrünstig: „Alle Vögel sind schon da“ und „So nimm denn meine Hände“. Dann rezitieren wir einen Bibelvers über Spatzen und erörtern die essenzielle Frage: „Warum müssen wir sterben?“

Anschliessend widmen sich die Kinder wieder ihrem Spiel und der Kessel ist geflickt. Ich putze den Hamster-Käfig fertig und frage mich kurz, was hier los sein wird, wenn dieses geliebte Haustier mal das Zeitliche segnet…

„Welchen Wert hat schon ein Spatz? Man kann zwei von ihnen für einen Spottpreis kaufen. Trotzdem fällt keiner tot zur Erde, ohne dass euer Vater davon weiss. Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Darum habt keine Angst! Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Spatzenschwarm.“
Matthäus 10 29-31

Today, I want to clean the hamster cage together with my kids. After we have prepared everything we spot a dead bird in the grass. It probably flew into the window and broke its neck.
My almost six-year-old stands at the window and sobs uncontrollably: “Birdie … birdie … birdie …” For about ten minutes she can’t be comforted.

Inspired by a book I read recently (it should be noted that it was a novel and not a how-to-book) we take the birdie gently into our hands, navigate ourselves along the numerous piles of neighbour cat’s poop to the compost where we prepare the animal’s last bed. We frame the broken body with two flowers. The kids draw something for the bird.

We say a prayer and some nice things about that poor little fellow and sing two wonderful songs. We recite a bible verse about sparrows and discuss an essential question: “Why do we have to die?”


After that the kids go back to play and I go back and clean the hamster cage. Wondering briefly what will happen when that beloved pet is going to depart from this life….

“Are not two sparrows sold for a penny? Yet not one of them will fall to the ground apart from the will of your Father. And even the very hairs of your head are all numbered. So don’t be afraid; you are worth more than many sparrows.”

Matthew 10, 29-31