„Bastelt mit euren Kindern!“, sagen sie. „Es fördert die Sozialkompetenz“, sagen sie.
Bastelkurs, Bastelmaterial, Bastel-Blog … es wimmelt nur so von Bastel-Ratschlägen. Bei Müttern zirkulieren sie im Allgemeinen sehr häufig, jetzt zu Corona-Zeiten besonders oft. Vom Kindergarten bekamen wir sogar ein wunderbares Heft namens „Bastel-Zauber“.
Seit jeher löst das Wort „Basteln“ bei mir einen leichten Würgereiz aus. Egal wie zauberhaft es mir präsentiert wird.
Heute, Sonntag, dachte ich mir, gebe ich dem Druck meiner missgelaunten Sechsjährigen nach: „Mami, wann basteln wir endlich etwas aus dem Kindergarten-Buch?“
Ich folge selbst meinem Rat, den ich meinen Kindern im Leben mitgeben möchte: „Springe über deinen Schatten! Geh an deine Grenzen! Versuch’s nochmal! Wenn man will, kann man (fast) alles lernen.“
Also schlagen wir das gefürchtete Ding auf und lesen: „Kugelbahn!“
„Okay!“, rede ich mir selbst gut zu. „Das ist das kleinste Übel aller Scheusslichkeiten, die ich hier sehe. Du schaffst das!“
Schnell sind alle Klopapierrollen aus den Tiefen des Kellers gegraben und das Malerabdeckband organisiert.
Und das Drama nimmt seinen Lauf: Ich zwinge meine steifen Fingergelenke dazu, den ganzen Müll zusammenzukleistern und regelmässig zerfällt alles wieder in seine Einzelteile, wenn ich gerade denke: „So, jetzt hab ich’s!“
Wie ein aussterbender Dinosaurier brülle ich durchs Wohnzimmer: „Afterlife! Aaaafterlife!!!“ (damit ich mir von meiner Tochter nicht sagen lassen muss: „A***loch, sagt man eigentlich nicht, Mami!“)
Sie sitzt mit einem skeptischen Sicherheitsabstand neben mir, hilft ein bisschen, wenn ich zwischen meinen Zähnen hindurchknurre: „Halt das mal!“ und sagt schliesslich lakonisch: „Deine Schwester hat aber mehr Geduld als du.“
Ich belle, pädagogisch nicht sehr wertvoll, zurück: „Ja, und genau darum bastelt sie auch, und ich nicht!“
Und jetzt sitze ich, als unterzuckertes Häufchen Elend in der Ecke und betrauere mein pulverisiertes Nervenkostüm, das ich eigentlich noch für den Rest des Tages gebraucht hätte und das ich jetzt so leichtfertig für das hässliche Geschwür an der Wand verbraten habe, welches den morgigen Tag eh nicht erleben wird. Und in meiner Schulter sitzt ein hartnäckiger Stress-Knoten.
Einmal mehr beschliesse ich: Zehnmal lieber, lehre ich meine Kinder sämtliche Flaggen und Hauptstädte der Welt, bringe ihnen bei auf Französisch, Englisch, Finnisch und Suaheli zu zählen und lese ihnen Geschichten vor, bis die Sonne untergeht, als mich noch einmal durch solch eine Tortur zu schleifen. Schuster, bleib bei deinen Leisten!
Liebe Bastel-Freundinnen, ihr seid meine neuen Super-Heldinnen! Aber eins soll euch geflüstert sein: Die Welt ist ein besserer Ort, wenn Lydia Schwarz NICHT bastelt!