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This I believe – #2 Der Fels

Seit anderthalb Jahren sehe ich hilflos zu, wie meine bombenfesten Sicherheiten, auf denen ich fest zu stehen glaubte, systematisch abbröckeln und im Meer der weltweiten Pandemie verschwinden.

Ich habe in dieser Zeit einen Haufen neue Erfahrungen gemacht: Ich sass in einem Lockdown fest. Ich hatte Angst, vor die Haustür hinauszutreten. Ich trug eine Maske. Ich wusch und desinfizierte meine Hände bis zum Ausschlag. Ich sass vor dem Fernseher und hing an den Lippen der Bundesräte. Ich nahm an Online-Treffen über Zoom teil. Ich besuchte monatelang kein Restaurant, keinen Zoo, keine Badi, kein Museum und keine Kirche. Ich war seit Juli letzten Jahres nie mehr im Ausland.

Ich habe letzte Weihnachten zum ersten Mal seit 36 Jahren ohne meine Eltern gefeiert (etwas, das mich besonders geschmerzt hat!). Ich musste meine aufgelösten Kinder trösten, weil ihre Geburtstagspartys nicht stattfinden konnten. (Ach, mein blutendes Mutterherz!)

Ich habe das COVID-19-Virus erwischt und sass an Ostern in Quarantäne. Ich war ein paar Tage lang komplett ohne Geschmacks- und Geruchssinn. Zwei Wochen lag ich im Bett, schlapp und unmotiviert. Ein bisschen länger noch habe ich mich sehr müde und deprimiert gefühlt. Manchmal frage ich mich heute noch, ob meine Nase oder mein Gaumen noch so funktionieren, wie zuvor. Aber wenigstens schränkt es mich im täglichen Leben nicht mehr ein.

Ich habe meine grösste Angst wahr werden sehen, dass meine Eltern erkranken. Aber auch die grosse Erleichterung, als sich ein milder Verlauf abzeichnete und sie nicht gestorben sind.

Ich habe aus Frust eine Contact-Tracerin am Telefon angebrüllt. Entschuldigt habe ich mich aber auch. „SIE können ja nichts dafür.“

Ich kenne eine Person, die auf der Intensivstation war und beatmet werden musste.

Ich kenne zwei Personen, die während dieser Zeit in eine Klinik eintreten mussten, weil die Seele einfach nicht mehr konnte.

Ich habe mit einer Pflegefachfrau gesprochen, die mir von schlimmen Zeiten auf der COVID-Station erzählte. In ihren Augen war immer noch ein Hauch, von dem Unfassbaren zu lesen, das sie durchgemacht hat.

Ich weiss von Menschen, die bei Demonstrationen für die Freiheit mitliefen. Ich kenne Menschen, die diffamiert werden, weil sie sich nicht impfen lassen wollen.

Ich habe mit einem geliebten Menschen um seinen Arbeitsplatz gezittert.

Menschen haben mir ihren schweren Oberarm entgegengestreckt. Sie haben mich fieberzerzaust und mit Kopfschmerzen angeblinzelt, weil sie von der Impfung heftige Nebenwirkungen hatten.

Ich bin befreundet mit geimpften, getesteten und genesenen Menschen. Ich mag andere, die ungeimpft, ungetestet und niemals krank waren.

Ich habe mit Menschen gesprochen, die verängstigt, wütend, frustriert, selbstgerecht, verwirrt, niedergeschlagen, verunsichert, innerlich zerrissen sind. Ich erlebe Menschen, die sich lieblos beschimpfen und Recht haben wollen. Andere, die schweigen, sich zurückziehen, abkapseln.

Ich bin nur ein einziger Mensch in dem weiten Meer der Welt, die von der Pandemie gebeutelt ist. Das ist meine Brille, das ist das, was ich erlebe. Eine Sicht, eine Perspektive.

Ich fühle immer wieder die ganze Bandbreite von Emotionen. Ich kenne den Frust, die Angst, die Verwirrung, die Selbstgerechtigkeit, dass das, was ich glaube, das einzig Richtige ist. Die Unsicherheit, was ich denn überhaupt noch glauben soll.

Jetzt wo wir am Anfang einer nächsten Runde stehen und ich wieder einmal nicht weiss, was uns in diesem Winter erwartet, da huscht mir ein altes Kirchenlied durch die Gedanken:

„On Christ the solid rock I stand, all other ground is sinking sand.“

(„Auf Christus dem festen Felsen stehe ich, jeder andere Boden ist Treibsand.“)

Und ich stelle mich bewusst mit beiden Füssen auf diesen Felsen, der Jesus Christus heisst.

Wenn ich Angst habe, ist er meine Sicherheit.

Wenn ich wütend bin, ist er die Ruhe selbst.

Wenn ich selbstgerecht bin, dann zeigt er mir, was Gerechtigkeit wirklich bedeutet.

Wenn ich die Hoffnung verliere, macht er mir Mut.

Wenn ich traurig bin, schenkt er mir Freude.

Wenn ich nicht mehr weiss, wer ich bin, sagt er mir, ich bin sein Kind.

Wenn ich keine Liebe fühle, sehe ich den ultimativen Beweis seiner Liebe – das Kreuz, an dem er starb – für mich, für alle!

Ich stehe auf diesem Felsen und weigere mich, meine Knie vor der Angst und der Verunsicherung und der Wut und der Selbstgerechtigkeit zu beugen.

Wenn vor dem Gesetz Geimpfte und Ungeimpfte nicht mehr gleich sind, vor Jesus Christus sind alle Menschen gleich.

Ich stelle mich auf den festen Felsen der Jesus Christus heisst, auch wenn alles um mich herum im Treibsand versinkt.

Photo by Folco Masi on Unsplash

2 Antworten auf „This I believe – #2 Der Fels“

Hallo, Lydia,
oh wie ich Dich verstehe, alles vertraute, seit Jahren funktionierende ist vorbei, kommt auch so nicht wieder.
Wie gut, wie tröstlich, dass wir einen Gott haben, der alles, wirklich alles unter Seiner Kontrolle hat. ER ist das einzige Fundament, das immer trägt, das ohne Fallstricke ist. Ich bin sooo dankbar, dass es diese Fundament gibt. Und auch für Dich und Deine Familie wünsche ich weiterhin die Gewissheit, dass ER Euch trägt.
Du hast nichts mehr veröffentlicht seit diesem Beitrag, lass Dich nicht ausbremsen, sondern sei frei, zu schreiben, mit den Buchstaben zu spielen, zu arbeiten und uns Lesern wieder neues zu präsentieren.
Ich denke, Du hast noch viel zu sagen.
Gottes Segen, Gitte

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