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Aktuell Anastasis Books

Anastasis

Es ist da!!! Ab sofort ist mein neuer Roman Anastasis – Gefährliche Rückkehr erhältlich!

2025: Die mächtige Organisation „Red Sandstone“ will die Menschheitsgeschichte zu ihren Gunsten verändern. Sie beauftragt ein dreiköpfiges Team, mit einer Zeitmaschine ins Jerusalem des Jahres 30 zu reisen, Jesus zu finden und die Entstehung des Christentums zu verhindern.

Als die drei in den Körpern ihrer Zeitreise-Avatare erwachen, ist plötzlich alles anders, als erwartet: Die Präsenz des Messias dringt vor bis in ihr Innerstes. Um beim Versuch, Jesus wie eine Schachfigur vom Brett der Weltgeschichte zu schieben, geschieht Ungeheuerliches …

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Aktuell This I believe

This I believe – #2 Der Fels

Seit anderthalb Jahren sehe ich hilflos zu, wie meine bombenfesten Sicherheiten, auf denen ich fest zu stehen glaubte, systematisch abbröckeln und im Meer der weltweiten Pandemie verschwinden.

Ich habe in dieser Zeit einen Haufen neue Erfahrungen gemacht: Ich sass in einem Lockdown fest. Ich hatte Angst, vor die Haustür hinauszutreten. Ich trug eine Maske. Ich wusch und desinfizierte meine Hände bis zum Ausschlag. Ich sass vor dem Fernseher und hing an den Lippen der Bundesräte. Ich nahm an Online-Treffen über Zoom teil. Ich besuchte monatelang kein Restaurant, keinen Zoo, keine Badi, kein Museum und keine Kirche. Ich war seit Juli letzten Jahres nie mehr im Ausland.

Ich habe letzte Weihnachten zum ersten Mal seit 36 Jahren ohne meine Eltern gefeiert (etwas, das mich besonders geschmerzt hat!). Ich musste meine aufgelösten Kinder trösten, weil ihre Geburtstagspartys nicht stattfinden konnten. (Ach, mein blutendes Mutterherz!)

Ich habe das COVID-19-Virus erwischt und sass an Ostern in Quarantäne. Ich war ein paar Tage lang komplett ohne Geschmacks- und Geruchssinn. Zwei Wochen lag ich im Bett, schlapp und unmotiviert. Ein bisschen länger noch habe ich mich sehr müde und deprimiert gefühlt. Manchmal frage ich mich heute noch, ob meine Nase oder mein Gaumen noch so funktionieren, wie zuvor. Aber wenigstens schränkt es mich im täglichen Leben nicht mehr ein.

Ich habe meine grösste Angst wahr werden sehen, dass meine Eltern erkranken. Aber auch die grosse Erleichterung, als sich ein milder Verlauf abzeichnete und sie nicht gestorben sind.

Ich habe aus Frust eine Contact-Tracerin am Telefon angebrüllt. Entschuldigt habe ich mich aber auch. „SIE können ja nichts dafür.“

Ich kenne eine Person, die auf der Intensivstation war und beatmet werden musste.

Ich kenne zwei Personen, die während dieser Zeit in eine Klinik eintreten mussten, weil die Seele einfach nicht mehr konnte.

Ich habe mit einer Pflegefachfrau gesprochen, die mir von schlimmen Zeiten auf der COVID-Station erzählte. In ihren Augen war immer noch ein Hauch, von dem Unfassbaren zu lesen, das sie durchgemacht hat.

Ich weiss von Menschen, die bei Demonstrationen für die Freiheit mitliefen. Ich kenne Menschen, die diffamiert werden, weil sie sich nicht impfen lassen wollen.

Ich habe mit einem geliebten Menschen um seinen Arbeitsplatz gezittert.

Menschen haben mir ihren schweren Oberarm entgegengestreckt. Sie haben mich fieberzerzaust und mit Kopfschmerzen angeblinzelt, weil sie von der Impfung heftige Nebenwirkungen hatten.

Ich bin befreundet mit geimpften, getesteten und genesenen Menschen. Ich mag andere, die ungeimpft, ungetestet und niemals krank waren.

Ich habe mit Menschen gesprochen, die verängstigt, wütend, frustriert, selbstgerecht, verwirrt, niedergeschlagen, verunsichert, innerlich zerrissen sind. Ich erlebe Menschen, die sich lieblos beschimpfen und Recht haben wollen. Andere, die schweigen, sich zurückziehen, abkapseln.

Ich bin nur ein einziger Mensch in dem weiten Meer der Welt, die von der Pandemie gebeutelt ist. Das ist meine Brille, das ist das, was ich erlebe. Eine Sicht, eine Perspektive.

Ich fühle immer wieder die ganze Bandbreite von Emotionen. Ich kenne den Frust, die Angst, die Verwirrung, die Selbstgerechtigkeit, dass das, was ich glaube, das einzig Richtige ist. Die Unsicherheit, was ich denn überhaupt noch glauben soll.

Jetzt wo wir am Anfang einer nächsten Runde stehen und ich wieder einmal nicht weiss, was uns in diesem Winter erwartet, da huscht mir ein altes Kirchenlied durch die Gedanken:

„On Christ the solid rock I stand, all other ground is sinking sand.“

(„Auf Christus dem festen Felsen stehe ich, jeder andere Boden ist Treibsand.“)

Und ich stelle mich bewusst mit beiden Füssen auf diesen Felsen, der Jesus Christus heisst.

Wenn ich Angst habe, ist er meine Sicherheit.

Wenn ich wütend bin, ist er die Ruhe selbst.

Wenn ich selbstgerecht bin, dann zeigt er mir, was Gerechtigkeit wirklich bedeutet.

Wenn ich die Hoffnung verliere, macht er mir Mut.

Wenn ich traurig bin, schenkt er mir Freude.

Wenn ich nicht mehr weiss, wer ich bin, sagt er mir, ich bin sein Kind.

Wenn ich keine Liebe fühle, sehe ich den ultimativen Beweis seiner Liebe – das Kreuz, an dem er starb – für mich, für alle!

Ich stehe auf diesem Felsen und weigere mich, meine Knie vor der Angst und der Verunsicherung und der Wut und der Selbstgerechtigkeit zu beugen.

Wenn vor dem Gesetz Geimpfte und Ungeimpfte nicht mehr gleich sind, vor Jesus Christus sind alle Menschen gleich.

Ich stelle mich auf den festen Felsen der Jesus Christus heisst, auch wenn alles um mich herum im Treibsand versinkt.

Photo by Folco Masi on Unsplash

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Aktuell Alltag Family

Schrott und Rechthaberei

Als wäre es nicht schon genug, dass ich selbst die Sammlerwut kultiviert habe und wir von allem zu viel haben, läuft in unserem Haushalt noch eine Mini-Me herum, für die alle Stofftiere eine Seele haben und die regelmässig durch die Küchenabfälle grast mit den Worten: „Das darfst du nicht wegschmeissen, Mami! Das kann man noch zum Basteln brauchen!“

Ich habe mir geschworen, wenn die Kleine dann mal in den Kindergarten geht, wird mein Inquisitions-Feldzug gegen all den Schrott geführt, der mich schon lange nervt. Um ein Exempel zu statuieren, kramte ich donnerstags ein Paar Turnschläppli (Gymnastikschuhe) aus dem Schuhgestell. Die mit dem grossen Loch bei der grossen Zehe. Klammheimlich stopfte ich sie im Abfallsack ganz tief nach unten ausser Sichtweite. Wir hatten ja ein neues Paar gekauft. Und das ist das Ende der Geschichte, dachte ich. Denkste…

Sonntags zieht mein Mann oft mit den Kindern los, damit ich meine Ruhe habe. Heute steht Tummelplatz auf dem Programm. Mein Nervenkostüm ist selten so angespannt, wie in den fünf Minuten, in denen die Kids die Schuhe anziehen und bis dann endlich die Tür hinter ihnen ins Schloss fällt. Und genau in dieser heiklen Phase steht plötzlich die Frage im Raum: „Mami, wo sind meine Turnschläppli?“

Das angespannte Mami-Monster sagt der Wahrheit entsprechend eiskalt: „Oh, die? Die habe ich fortgeschmissen! Du hast ja jetzt neue!“

Ein gequälter Aufschrei zerschneidet die Luft, als meine Tochter fassungslos anfängt zu kreischen: „Aber die habe ich doch so gern!!! Und was passiert jetzt mit denen, wenn du sie fortschmeisst?“

Mit monotoner Stimme erkläre ich ihr den Kreislauf der Kehrichtverbrennungsanlage, während ich entnervt die Augen verdrehe und gegen die Haustür sinke. Wenn doch nur endlich alle verschwinden würden!

Ja, Freunde, es ist die traurige Wahrheit, manchmal kann ich nicht aus meiner Haut.

Die Situation artet wenig überraschend noch weiter aus, weil die Grosse jetzt auch noch solidarisch mitheult und die Kleine lautstark verlangt zu wissen, was den mit dem schönen pinken Muster auf den Schuhen geschieht, wenn die Schuhe brennen. „Ich we-he-he-herde diese Turnschläppli nie-hie-hie vergessen!“, schluchzt sie.

Mein Mann hält das heulende Volk im Arm und wirft mir einen vorsichtigen Blick zu. Ich hadere immer noch blind mit meinem Recht, kaputte Dinge zu entsorgen.

„Sag ihr, es tut dir leid!“, formt mein Mann mit den Lippen. Und zu meiner Unfähigkeit, richtig zu reagieren, gesellt sich die Scham, dass ich tatsächlich immer noch darauf beharre, dass mein Abfall-Management wichtiger ist, als die verletzten Gefühle meiner Tochter, deren Welt noch so klein ist.

Eine Erinnerung an Klein-Lydia steigt in mir auf, wie sie ihren vertrockneten Filzstiften einen Abschiedskuss aufdrückt, bevor sie den Weg allen Abfalls geben, mit dem Versprechen, dass ihre Gedanken sie begleiten werden, obwohl sie sich in diesem Leben nicht mehr sehen werden.

Ich knie mich also vor meine Tochter hin: „Es tut mir leid, dass ich deine Schuhe fortgeschmissen habe!“, sage ich.

Und aus dem sturen Nebel der Rechthaberei wird mir plötzlich sonnenklar, dass es für mein Kind in diesem Moment nicht nur bei leeren Worten bleiben darf, sondern dass den Worten Taten folgen müssen. Ich überschlage kurz: Die Schläppli habe ich donnerstags entsorgt. Heute ist Sonntag. Abfallentsorgung kommt erst am Dienstag.

Ich eile in die Küche, hole eine Schere und frage meinen Mann: „Wie gut stehen die Chancen, dass du unseren Abfallsack im Container unter all den anderen wiedererkennst?“

„Die Chancen stehen gut!“, antwortet er mit einem Schmunzeln um die Lippen, als ihm aufgeht, was ich vorhabe. „Aber nimm auch das Klebeband mit.“

Und so steht Familie Schwarz fünf Minuten später im Zentrum des Wohnquartiers und lokalisiert den richtigen Abfallsack unter all den anderen, die sich seither dazu gesellt haben. Mit spitzen Fingern klaube ich ihn heraus. Ein ganzes Madenvolk lebt darauf. Der Gestank ist bestialisch.

Mein Mann gibt mir Anweisungen, wo ich schneiden muss, denn er hat der Sparsamkeit halber zwei Abfallsäcke so dicht zusammengepresst, dass kein Fingerbreit dazwischen geht. Ich führe die Schere mit der Präzision eines Skalpells das eine Eiterbeule aufsticht. Der Würgereiz reisst an meiner Kehle.

Das Desaster wird plötzlich zu einem Abenteuer. Die Tränen der Kinder verwandeln sich in Ekelgeschrei und schliesslich in Freudenrufe, als die unsäglichen Turnschläppli endlich wieder das Tageslicht erblicken.

Ich klebe den Abfallsack wieder fachmännisch zu und befördere ihn verächtlich dahin, wo er hergekommen ist. Die Kinder tragen die Turnschläppli bis zur Waschmaschine. Der Zwischenraum ist gefüllt mit Tränentrocknen, Lachen, Umarmungen und Entschuldigungen.

„Bist du jetzt zufrieden?“, raune ich meinem Mann zu. Und er nickt und lächelt fein.

Mir wird die Weisheit meiner Mutter bewusst, als sie mir eines Tages ironisch sagte: „Die Frage bleibt offen, wer bei der Kindererziehung die wichtigsten Lektionen lernt.“

Klar ist auch, dass niemand von uns diese Turnschläppli so schnell wieder vergessen wird.

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Aktuell Alltag Family

Unzufrieden?

Na? Heute schon unzufrieden gewesen? Ich schon! Und zwar mit meinen Kindern. Weil diese wiederum unzufrieden waren mit dem Essen, das ich ihnen aufgetischt habe.

Jaja, ich weiss ja, dass man die Kinder nicht zum Essen zwingen soll und dass ihre Geschmacksknospen sich erst mit der Zeit vollends entwickeln und blablabla …

Aber heute ist mir echt der Kragen geplatzt. Ich bin nicht Köchin aus Leidenschaft. Ich stelle das Essen auf den Tisch, weil jemand es tun muss und weil die Kinder sich halbwegs gesund ernähren sollten et cetera.

Und ja, ich zermartere mir pausenlos das Gehirn, von dem Moment an, wenn ich das Essen aus dem Einkaufsregal nehme und in den übervollen Einkaufswagen stopfe, bis zu dem Zeitpunkt, wenn ich vor dem geöffneten überbordenden Kühlschrank stehe und mir den Haarboden wundkratze, weil ich etwas Fantasievolles zaubern möchte, mir aber beim besten Willen nix einfällt, das ich in den letzten zwei Wochen nicht schon zigmal gekocht habe.

Heute ist Sonntag. Der Sonntag, an dem andere die Füsse hochlegen, aber Mutter trotzdem das Essen auf den Tisch stellen muss. Ich habe nicht mal eine schlechte Idee: Gefüllte Paprika mit Hackfleisch, das an anderen Tagen auch schon von allen klaglos gegessen wurde. Ich habe während des Kochprozesses Freude an meinem neuen Backofen, der jetzt endlich hält, was er verspricht. Ich stelle das Backblech auf den Tisch – und dann geht’s los:

„Was ist das? … So wenig Auswahl? … Ich habe die Zwiebeln nicht gern … Es ist zu heiss … Ich habe das Hackfleisch nicht gern … “ Und dann schlürfen sie schon mal gemächlich ihr Sirüpchen, als würde plötzlich wie durch ein Wunder etwas anderes auf ihren Tellern erscheinen, wenn sie nur noch genug lange warten.

Der Gipfel ist erreicht, als meine Dreijährige eine Paprika vom Teller nimmt, sie schüttelt und das Hackfleisch uns allen um die Ohren fliegt.

Wut dreht eine brennende Spirale meine Speiseröhre hoch und äussert sich dummerweise in Tränen. Die Stimmung kippt schlagartig auf Alarmstufe Rot. Wie immer, wenn Mami weint. (Ach, die liebe Dünnhäutigkeit … Was gäbe ich in einem solchen Moment um ein Pokerface!)

„Warum weinst du?“, piepst eine der zwei Delinquentinnen ganz vorsichtig.

„Weil ich wütend bin“, antworte ich ehrlich.

„Auf wen?“

„Auf euch!“

Und das lasse ich einfach mal eiskalt so im Raum stehen.

Papi erläutert dann der betroffenen Nachkommenschaft meine schroffen Worte, erklärt geduldig und leistet Schadensbegrenzung.

Wie dankbar bin ich um seinen kühlen Kopf. Denn in der Wuthitze brauche ich meine restliche Selbstbeherrschung, um nicht den vollen Porzellanteller an die weisse Wand zu deppern. Ich habe keine Luft für vernünftige Erklärungen.

Nach kurzer Zeit merke ich, dass ich eigentlich nicht wirklich auf die Kinder wütend bin. Denn sie spiegeln ja nur das wieder, was ihnen vorgelebt wird. Von uns. Als Eltern. Als Gesellschaft.

Ich bin auch nicht so sehr verletzt, weil die Arbeit meiner Hände einmal mehr nicht gewürdigt wird. (Undankbarkeit ist nicht schön, aber irgendwie Teil des Jobs.)

Aber ich bin wütend auf das grosse Ganze. Auf uns Schweizerinnen und Schweizer, weil wir so unverschämt reich sind. Wir sitzen in einem Füllhorn von Nettigkeiten und drehen trotzdem durch wegen der Aussicht, dass ein Lieferengpass für eine von 45 möglichen Müesli-Sorten bestehen könnte.

Ich bin wütend, weil ausserhalb unserer Seifenblase, Menschen buchstäblich an Armut und Hunger verrecken und wir so erfolgreich darin sind, diese Tatsachen zu verdrängen.

Wir sorgen uns um unser eigenes kleines Leben und unser kleines Gärtchen mit dem Zaun drum herum. Dabei muss in der Notsituation unser Ueli nur wieder mal sein Staatskässeli schütteln, dann fallen wieder ein paar Milliärdchen mehr raus – und gut is‘.

Und während ich nach Worten ringe, wie ich den Kindern erklären soll, was in mir vorgeht, nehme ich sie auf den Schoss und erzähle ihnen die Geschichte vom kenianischen Mädchen, nennen wir sie Ndanu.

Ndanu war etwa vier Jahre alt, als ich sie kennenlernte. Sie kam jeden Morgen einen weiten Weg zu dem Kindergarten, in dem ich damals aushalf.

Die Kindergärtnerin überliess morgens Ndanu und ihre Kameraden etwa eine Viertelstunde meiner alleinigen Obhut, um in ihrer Küche einen unansehnlichen Brei zu kochen, den sie den Kindern zum Znüni in farbigen Bechern servierte. Ich probierte einmal eine Messerspitze voll. Es war eine lauwarme geschmacklose Pampe von hellbrauner Kotz-Konsistenz.

Niemals vergesse ich Ndanus Gesicht, die einen Schluck von der Sosse nahm, und mich dann mit einem Mäusezähnchen-Lächeln anstrahlte. Es schmeckte ihr, das war offensichtlich.

„Es ist für viele die einzige warme Mahlzeit am Tag“, informierte mich die Kindergärtnerin.

Der Kontrast dieser strahlenden Augen wegen einer erbärmlichen Mahlzeit, zu dem unzufriedenen Gemecker meiner Kinder in Anbetracht einer üppigen Mahlzeit könnte nicht grösser sein – und ist wie ein Schlag in die Magengrube.

Wie kann ich meinen Kindern beibringen, dass wir eigentlich in einer Fake-Welt leben? Dass wir zu einer minimalen Oberschicht gehören, die in Saus und Braus lebt und doch niemals genug hat? Das unsere Kaninchen besser essen, als viele Kinder in anderen Teilen dieser Welt. Wie kann ich sie sensibilisieren, ohne ihnen unnötige Schuldgefühle einzuimpfen? Denn niemand von uns kann etwas dafür, dass wir so privilegiert geboren sind.

Hilflos überlege ich, was ich denn überhaupt in meiner bevorzugten Stellung machen kann, um Armut und Hunger zu lindern.

Soll ich Geld spenden? Nützt es, wenn ich (nach der Corona-Pandemie) Leute in armen Ländern besuche?

Gibt es überhaupt noch Hilfsorganisationen, die nicht korrumpiert sind? Gibt es noch Menschen und Firmen, die uneigennützig ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit und ihren Wohlstand anderen Menschen helfen?

Wenn ich mich selbst anschaue, wenn ich einen Blick in die Welt mache, zweifle ich stark daran und finde heute keine Antwort darauf. Was bleibt ist die Wut – und die Unzufriedenheit.

Photo by James Fitzgerald on Unsplash

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Aktuell Alltag Family Life

Hasenfuss oder Löwenherz?

Heute Morgen gibt es erstmal kein Frühstück sondern einen Schock: Eines unserer jungen Kaninchen liegt tot im Käfig.

Ich gebe zu, ich habe soeben mehr als nur eine Träne vergossen.

Was? Ich? – Die ich haustierlos aufgewachsen bin und Tierhaltung immer als etwas eher Überflüssiges empfunden habe?

Ja, ich weine, weil mir einerseits das arme flauschige Fellknäuel so furchtbar leidtut. Andererseits, weil ich es meiner sechsjährigen Tochter – einer erklärten Tiernärrin –  noch beibringen muss. Auf Vorschuss leide ich schon mit, weil ich weiss, wie schwer es sie treffen wird. Wenigstens bin ich dankbar, dass ich das Häschen gefunden habe und nicht sie.

Und natürlich zermartere ich mir das Hirn, was ich falsch gemacht habe und mache mir Vorwürfe.

Äusserlich hat das Tierchen keine Verletzungen vorzuweisen und auch sonst trifft keines von möglichen Ursachen zu. Die Diskussion mit dem Züchter ergibt, dass ein Kaninchen eine Herzattacke erleiden kann, wenn es wegen einem anderen Tier erschreckt. Einem Raubtier zum Beispiel.

Und da fällt mir ein, dass ich gestern Nacht mit Herzrasen erwacht bin und gedacht habe, etwas hätte mich geweckt, das ich aber nicht zuordnen konnte. Der stürmische Herbstwind tobt indes schon seit gestern ums Haus und verursacht allerhand Geräusche an sämtlichen Gegenständen, die nicht niet- und nagelfest sind. Deshalb bin ich wieder schlafen gegangen.

Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass ein Fuchs aus dem nahen Wald eine makabre Form vom Schweizer Kinderreim: „Lueget ned ume, de Fuchs goht ume …“ gespielt hat. Und dass das Kaninchen an seiner Angst verendet ist. Das arme Wesen! Ich muss wieder weinen.

Und da fällt mir ein, dass wir Menschen uns oft wie ein Häschen in Todesangst benehmen.

Der Fuchs, in diesem Fall ein Sinnbild für die Angst, schleicht in diesen Tagen viel listiger und gemeiner um unsere Hütten als auch schon.

Vielleicht sitzen wir in der Ecke und zittern, weil wir denken: „Der kriegt uns! Jetzt sind wir dran!“

Das Kaninchen wusste nicht, dass der Fuchs nicht in den Stall rein kann, weil wir ihn gewissenhaft fuchssicher eingerichtet haben.

Auch für uns Menschen mag eine Bedrohung real sein, aber unsere Luxus – Käfige sind in der Regel fuchssicher.

Trotzdem hüpfen wir herum und quieken und ängstigen uns zu Tode. Äusserlich sieht man es uns vielleicht nicht an, aber innerlich sind wir bereits vor Angst erstarrt.

Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass die Angst in diesem Jahr Hochkonjunktur hat. Aufgepeitscht von Meinungen und Tatsachen, Fakten und Fiktion.

Und so dreht der „Angst-Fuchs“ munter noch eine Runde um unseren Stall. Jagt uns hin und her und rauf und runter, drängt uns in die Ecke, raubt uns die Lebensfreude.

Wie gerne wäre ich gestern Nacht rechtzeitig aufgestanden, hätte den Fuchs vertrieben und dem Häschen zugerufen: „Der kann dir nichts!“

Aber ich habe geschlafen.

Gott schläft nicht! Er weiss das der Angst-Fuchs um deinen Stall herumschleicht, und er ruft dir zu: „Der kann dir nichts!“

In der Bibel steht, dass Gott uns kein Hasenherz gegeben hat, sondern ein Löwenherz. (Zum Zweck der Geschichte aus 2.Timotheus 1,7 angepasst.)

Und was tut ein Löwe, wenn der Fuchs, um seinen Stall schleicht? Er bleckt die Zähne und brüllt den Fuchs an. Und der muss abhauen.

Lasst uns also keine Hasenfüsse sein, sondern Löwinnen und Löwen, die der Angst ins Gesicht brüllen. Sie wird fliehen müssen!

Photo by Keyur Nandaniya on Unsplash

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Allgemein Blog Life

Der Tanz der Buchstaben

Vor meinen inneren Augen sehe ich sie immer noch vor mir: Die Magnetplatte mit den Buchstaben, mit denen ich schon als kleines Kind spielte. Das P ist grün, das D auch. Aber O und U sind gelb, und mein Lieblingsbuchstabe Y ein grelles Rot. Diese Farben haben die Lettern bis heute in meinen Kopf.

Aber Buchstaben sind nicht nur farbige Zeichen. Buchstaben sind Klänge, sind Sprache. Das Tor zu einer Zauberwelt, einem Schlaraffenland.

Buchstaben sind Lautmalerei. So ist Haha eine kunterbunte Explosion von Freude, hihi deren kleine schüchterne Schwester und höhö der grosse schadenfreudige Bruder. Iiiih ist Ekel pur. – Siehst du den grünen Rotz?
Pfu-iii ist die kalte Hundeschnauze und Ng-ng-ng kochtopfrote Wut.

Buchstaben tanzen wie Schmetterlinge über dem Lavendel – Garten meiner Seele. Tag und Nacht feiern sie vor meinen Augen ein Fest. Sie sind meine imaginären Freunde, die mir zu Zeiten und Unzeiten zurufen: „Komm und spiel mit uns!“ Sie locken mich, verführen mich dazu, sie zu umfassen und zu tausenden neuen Kombinationen zusammenzufügen.

Buchstaben setzen Grenzen. Das sanfte Knallen des P’s sagt: „Stopp! Komm nicht näher!“ „Hallo“ hingegen ist eine sanfte und einladende Umarmung.

Andere joggen oder stricken zur Entspannung. Ich lese oder schreibe.

Buchstaben beruhigen mich. Immer. Wenn das Chaos im Hirn ein schwarzes Knäuel zusammengeknautschter, nasser, zerraufter Schafwolle ist, dröseln Buchstaben und Wörter das Durcheinander zu einzelnen zu bewältigenden Fäden auf. Ist der Alltag unerträglich, streicheln die Wörter mein Hirn rufen ihm zu: „Das Leben ist doch schön.“

Musik kann laut und störend sein, menschliche Stimmen schrill und kratzig. Aber Buchstaben sind immer angemessen.

Buchstaben rufen Bilder und Stimmungen hervor, wie Abendrot und Sturmwolke.

Tulpe, Banane, Blatt und Regentropfen sind klaren Farben und Formen zugeordnet.

Es gibt kurze Wörter, die aber im Kern kompliziert sind wie ich und du. Es gibt kleine Wörter die grosse Auswirkungen haben so wie Ja und Nein.

Viele beschweren sich über die Gross- und Kleinschreibung im Deutschen. Dabei empfinde ich die Grossbuchstaben als besonders ästhetisch. Sie beschreiben konkrete Dinge wie Ähre oder abstrakte Begriffe wie Geborgenheit. Man braucht sie für die Namen von geliebten Menschen oder von exotischen Orten, die man noch bereisen möchte.

Mit Buchstaben kann man sogar rechnen. Aber wer will das schon, wenn man immer noch neue Wörter damit formen kann, die man bisher nicht gekannt hat, wie „Petrichor“ und „Koryphäe“?

Andere Menschen denken in Bildern oder Zahlen. Ich denke in Buchstaben.

Wenn ich mir langweilige Dinge anhören muss, wie zum Beispiel eine Predigt mit einem Haufen mansplaining drin oder einen Vortrag über steuerliche Vorteile der Innerschweizer Kantone, zeichne ich das Alphabet auf und schon eröffnen sich mir fantasievolle Welten, in die niemand sonst Zutritt hat.

Als ich mal jemandem gestand, dass ich zu Hause heimlich den Duden lese und nebenher noch den „Oxford Dictionary of English“, starrte die Person mich entgeistert an, als hätte ich einen an der Waffel. Und ich verteidigte mich stotternd: „Aber … Wörter … weisst du?“ Ich rümpfe ja schliesslich auch nicht die Nase über Menschen, die den Wirtschaftsteil der Zeitung lesen oder – heaven forbid! – ein Modemagazin.

Und wenn ich dann denke, die deutsche Sprache ist doch endlich, da geht nichts mehr, lassen sich die Buchstaben noch in tausenden anderen Sprachen zu Kombinationen zusammenfügen, die das Herz so noch nicht kannte und immer wieder von Neuem erfreuen.

Was für schöne Worte sind zum Beispiel pyykkipoika (Wäscheklammer auf Finnisch), oder imperméable (Regenschutz auf Französisch; wörtlich wasserundurchlässig) oder amore (Liebe auf Italienisch). Ui ist die Zwiebel auf Niederländisch, maji heisst Wasser auf Suaheli oder dann doughnut (wörtlich: Teignuss) das köstliche, zuckersüsse Gebäck aus Amerika.

Da möchte ich gleich einen Spaten schultern und auf den Acker der Weltsprachen ziehen, um dort ein bisschen zu buddeln. Ich kann mir kaum ausmalen, was für unentdeckte Schätze in den Sprachen schlummern, die sich mit lateinischen Zeichen nicht ausdrücken lassen.

Photo by Anders Nord on Unsplash

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Aktuell Alltag Life

Die Lage ist ernst

Den Moment werde ich nie mehr vergessen: Die Bundespräsidentin der Schweiz* blickt gefasst und eindringlich in die Kamera und verkündet mit schwerem Tonfall: „Meine Damen und Herren, die Lage ist ernst!“ Im gleichen Atemzug gibt sie die Schliessung aller Schulen bekannt. Etwas, das ich Stunden zuvor für absolut unmöglich gehalten habe, ist Tatsache.

Gemeinsam mit Tausenden weiteren Schweizerinnen und Schweizern begriff ich in diesen Minuten vor der Glotze: „Ja, das Virus, mitsamt der Angst im Schlepptau, ist jetzt auch bei uns angekommen.“ Was ich zuvor innerlich noch als „chinesische Seuche“ belächelt hatte – „Da haben sie ja ständig was.“ – wurde zum grössten Eingriff in die Zivilgesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Keiner wusste so genau: „Wie lange? Wo? Wann? Wer? Wie schlimm? Und was ist jetzt mit diesen Masken?“

Ich versuchte mich ungläubig mit der Tatsache anzufreunden, dass fortan Kind und Kegel (und Ehemann) pausenlos über meinen Küchenboden und meine Nerven hinwegtrampeln würden. Während ich mir die Hände wund schrubbte, googelte ich um Rat mit den Suchbegriffen: „Wie halte ich es länger als zwei Tage hintereinander mit meinen Liebsten aus?“ Oder: „Wie ertrage ich mein Kind ohne Lehrerin und Grosi**?“

„Mentale Hygiene“ wurde mein Mantra und „Sich jeden Tag neu erfinden“, meine neue Religion. Gähnende Leere im Terminkalender. Zitternde Knie beim Einkaufen. Der pure Kulturschock inmitten meiner vier Wände.

Dabei gehörte ich noch zur glücklichen Spezies: Mein Mann arbeitete ein bisschen im Homeoffice (Nähe!), ein bisschen in seinem Büro weit weg (Distanz!), und ein bisschen hatte er mehr frei (Thank you, God!!!). Meine zwei Mädels lernten hingebungsvoll miteinander zu spielen und bis auf die misslungene Episode mit dem Basteln siehe Eintrag „Dinosaurier und Magengeschwüre“ kamen wir ohne fremde Beschäftigungstherapie zurecht.

Bei mir persönlich herrschte kompletter Shutdown: Arbeit? Gestrichen! Sprachkurs? Abgesagt! Gottesdienst? Gecancelt! Freunde treffen? Gelöscht! Routinetermine? Weg damit! Mein Terminkalender war schneller geleert, als die ersehnte Wasserflasche eines Marathonläufers.

Anfangs hyperventilierte ich kurz: „Werden meine Eltern sterben?“ Oder: „Ich habe Schnupfen! Wen habe ich jetzt alles mit COVID-19 angesteckt?“ Dann kam ich zur Ruhe.

Herrliche, atmende, inspirierte Ruhe! Plötzlich war es genug, nach dem Essen noch ein bisschen sitzenzubleiben, ohne zu einem abendlichen Termin zu hetzen. Es war genug, morgens auf der Bettkante zu hocken und keinen Plan zu haben. Es war genug, einen halben Bibelvers zu lesen und drei Wochen lang immer wieder über dessen Schönheit und Bedeutsamkeit zu meditieren.

Gespräche mit Freunden und Nachbarn wurden einfach. Man freute sich über jedes bekannte Gesicht ausserhalb der vier Wände. Man lächelte sich an, verdrehte verständnisvoll die Augen, sagte „Wie geht’s?“ und „Bleibt alle gesund!“ und winkte zum Abschied kräftig und kehrte dann in seine Höhle zurück.

Vor meinen Augen verwandelte sich die pausenlos herumwuselnde, burnout- und herzinfarktgefährdete Insta-Gesellschaft in ein Volk von haustierhaltenden, hochbeetbepflanzenden, radfahrenden Naturburschen und –mädels! ***

Und ich selbst schrieb, schrieb, schrieb so viel wie seit Monaten nicht mehr. Nachdem beinahe alle äusseren Einflüsse weggefallen waren, mutierte mein Hirn zu einer beinahe unerschöpflichen Quelle kreativer Einfälle. Die letzten drei Wochen des Lockdowns dachte ich immer wieder: „Ich bin glücklich! So darf es bleiben! Eigentlich möchte ich nicht mehr zurück auf Hundert.“

Aber die Realität schlug unbarmherzig zu. Drei Wochen nach Schulstart hänge ich abends um acht wieder erschöpft auf der Sofakante und lasse den Tag Revue passieren:

„Habe ich jetzt den Wisch von der Schule unterschrieben oder gammelt er noch in der Küchenschublade vor sich hin? – Wem habe ich jetzt noch versprochen, dass wir uns nach dem Lockdown uuuunbedingt treffen wollen, weil wir uns ja soooo vermisst haben. – Und wie soll ich all die nachzuholenden Partys aneinander vorbeibringen?“

Ich rase mit 120 Stundenkilometern auf die Destination „Zustand wie vor dem Lockdown“ zu und frage mich verzweifelt, wo die Ausfahrt ist. Mein Mann hängt neben mir auf der Sesselkante. Augen zu und bleich um die Nase nach einer Woche mit sehr vielen Überstunden. Er seufzt abgrundtief, das Echo meines stummen Hilfeschreis.

Die Welt da draussen diskutiert sich die Köpfe heiss, welches Unternehmen noch eine Finanzspritze kriegt und ob und wann die zweite Welle über uns hereinbricht? Aber meine einzige Frage hier ist: „Liebe Frau Bundespräsidentin, wo ist das rote Plakat mit den Anweisungen, wie man sich resozialisiert, ohne auszubrennen?“ Soll mal jemand dazu eine Pressekonferenz halten … die Lage ist nämlich ernst.

*Bundespräsidentinnen und Bundespräsidenten der Schweiz werden vom Parlament für nur ein Jahr gewählt. Der- oder diejenige ist dann für das Jahr „primum inter pares“ oder „Erste/r unter Gleichen“. Das heisst, für begrenzte Zeit, begrenzte Macht.

** Offizielle Job-Bezeichnung für Grossmutter. In unseren Breitengraden Allzweckwaffe und Zufluchtsort, wenn einem die Kinder zu nahe treten.

*** Achtung! Hier leicht rosarot-romantisierte Wahrnehmung der Wirklichkeit!

Photo by Luis Villasmil on Unsplash

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Alltag Blog Life

Unkraut

Unkraut verdirbt nicht. Heute stehe ich am Rande meines Gartens und überzeuge mich selbst davon. Ich sehe die Gräser, die zwischen den Steinplatten emporwuchern, und die ich letzthin noch mit Unkrautvertilger hatte besprühen wollen. Vor mir liegt der samtweiche aber unregelmässig gemähte Rasen, denn die Klinge des Rasenmähers ist auf einer Seite stumpf geworden. Im Wintergarten wartet ein Korb mit zusammengelegter Wäsche auf mich.

Wo ich mich umschaue, sehe ich, was ich noch tun könnte, um alles um mich herum schöner und besser zu machen. Im Haus drin fällt mein Blick auf die weisse Wand, an der sich die Kleine in einem unbeobachteten Moment kreativ mit Farbe ausgetobt hat. Sehe den Schuhsalat in der Garderobe, den Bücherstapel, den die Kinder immer wieder von Neuem durchlesen und der schon ganz schief auf der Sofalehne hängt.

Zu Hause wurden wir in Fragen des Haushalts mit finnischer Hand erzogen. Es ist nicht so, dass wir in einem heillosen Chaos grossgeworden wären, aber das gute alte Schweizer-Hausfrauen-Gen fliesst nicht durch unsere Venen.

Als Teenager begann ich, das Chaos anzubeten. Es war mir herzlich egal, was wo zu liegen kam, und eine schwarze Ader tief in mir drin freute sich diebisch, wenn ein Besucher sichtlich die Fassung verlor, über der Frage, wie man in einer solchen Räuberhöhle hausen kann.

Damals rebellierte ich so gegen eine Welt, in der ich ansonsten immer versuchte, auf fromme Art und Weise Gott und die Menschen zu beeindrucken. Mein persönlicher Lebensraum war der Ort, in dem ich endlich alles fallen lassen konnte. Meine Unordnung wurde in unserer Familie sogar sprichwörtlich.

Natürlich will niemand auf ewig in einer Räuberhöhle leben. Doch ich war planlos, wie ich etwas daran ändern konnte. Der geseufzte Wunsch einer Kollegin von mir: „Lydia, ich wünsche dir, dass du mal einen Mann kriegst, der Ordnung hält!“, wurde mein heimliches Gebet, was ich aber nicht mal vor mir selbst zugegeben hätte.

Der Mann tauchte auf und – oh Wunder! – er hatte einen grösseren Sinn für Ordnung als ich. Es war vorprogrammiert, dass in unserer Ehe erst mal die Fetzen flogen. Tränen flossen und unschöne Worte wechselten den Besitzer, bevor ich zugeben konnte, dass ich mir ein belehrbares Herz bewahren wollte. Und mein Mann hatte tatsächlich einen Haufen äusserst hilfreiche Tipps für meine scheinbar unheilbare Lebensweise in petto.

Und – zweites Wunder! – ich war in der Lage zu lernen. Heute kann ich in einer normalen Woche meinen Zimmerboden soweit aufräumen, dass man mit dem Staubsauger durchfahren kann. Auch im Wohnzimmer kommt die Maschine regelmässig zum Einsatz. Ich ertappe mich gelegentlich dabei, dass ich mich an einer blankgeputzten Tischplatte erfreue. So richtig. Mit tief empfundenen Glücksgefühlen und so.

Manchmal aber laufe ich durchs Dorf und beobachte die Frauen, die in und ums Haus herum arbeiten. Mit der Nagelschere frisieren sie ihren englischen Rasen, mit dem Wischmopp bohnern sie einen bereits blitzblanken Eingang und in fieberhafter Wut, polieren sie Fensterscheiben.

Fünf Minuten falle ich dann in die die zwei Todsünden – das Vergleichen und den Neid – zurück und bedaure: „So weit werde ich nie sein.“

Und nach den Momenten der Unzulänglichkeit, spüre ich tief in meinem Herzen, dass ich es mag – das Unperfekte. Ich mag den gelben Löwenzahn, der zwischen den Steinplatten emporwächst. Ich liebe es, wenn meine Kinder die Walderdbeeren pflücken, die überall sind, wo sie nicht sein sollten. Ich liebe schräge Linien, und Kleider, die nicht zusammenpassen. Ich mag Bücherstapel und Schuhsalate und kunterbunte Wäschekörbe.

Ich fühle mich sehr wohl in dem Niemandsland zwischen Saustall und Paradiesgarten. Da lässt es sich nämlich wunderbar leben.

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Dinosaurier und Magengeschwüre

„Bastelt mit euren Kindern!“, sagen sie. „Es fördert die Sozialkompetenz“, sagen sie.

Bastelkurs, Bastelmaterial, Bastel-Blog … es wimmelt nur so von Bastel-Ratschlägen. Bei Müttern zirkulieren sie im Allgemeinen sehr häufig, jetzt zu Corona-Zeiten besonders oft. Vom Kindergarten bekamen wir sogar ein wunderbares Heft namens „Bastel-Zauber“.

Seit jeher löst das Wort „Basteln“ bei mir einen leichten Würgereiz aus. Egal wie zauberhaft es mir präsentiert wird.

Heute, Sonntag, dachte ich mir, gebe ich dem Druck meiner missgelaunten Sechsjährigen nach: „Mami, wann basteln wir endlich etwas aus dem Kindergarten-Buch?“

Ich folge selbst meinem Rat, den ich meinen Kindern im Leben mitgeben möchte: „Springe über deinen Schatten! Geh an deine Grenzen! Versuch’s nochmal! Wenn man will, kann man (fast) alles lernen.“

Also schlagen wir das gefürchtete Ding auf und lesen: „Kugelbahn!“

„Okay!“, rede ich mir selbst gut zu. „Das ist das kleinste Übel aller Scheusslichkeiten, die ich hier sehe. Du schaffst das!“

Schnell sind alle Klopapierrollen aus den Tiefen des Kellers gegraben und das Malerabdeckband organisiert.

Und das Drama nimmt seinen Lauf: Ich zwinge meine steifen Fingergelenke dazu, den ganzen Müll zusammenzukleistern und regelmässig zerfällt alles wieder in seine Einzelteile, wenn ich gerade denke: „So, jetzt hab ich’s!“

Wie ein aussterbender Dinosaurier brülle ich durchs Wohnzimmer: „Afterlife! Aaaafterlife!!!“ (damit ich mir von meiner Tochter nicht sagen lassen muss: „A***loch, sagt man eigentlich nicht, Mami!“)

Sie sitzt mit einem skeptischen Sicherheitsabstand neben mir, hilft ein bisschen, wenn ich zwischen meinen Zähnen hindurchknurre: „Halt das mal!“ und sagt schliesslich lakonisch: „Deine Schwester hat aber mehr Geduld als du.“

Ich belle, pädagogisch nicht sehr wertvoll, zurück: „Ja, und genau darum bastelt sie auch, und ich nicht!“

Und jetzt sitze ich, als unterzuckertes Häufchen Elend in der Ecke und betrauere mein pulverisiertes Nervenkostüm, das ich eigentlich noch für den Rest des Tages gebraucht hätte und das ich jetzt so leichtfertig für das hässliche Geschwür an der Wand verbraten habe, welches den morgigen Tag eh nicht erleben wird. Und in meiner Schulter sitzt ein hartnäckiger Stress-Knoten.

Einmal mehr beschliesse ich: Zehnmal lieber, lehre ich meine Kinder sämtliche Flaggen und Hauptstädte der Welt, bringe ihnen bei auf Französisch, Englisch, Finnisch und Suaheli zu zählen und lese ihnen Geschichten vor, bis die Sonne untergeht, als mich noch einmal durch solch eine Tortur zu schleifen. Schuster, bleib bei deinen Leisten!

Liebe Bastel-Freundinnen, ihr seid meine neuen Super-Heldinnen! Aber eins soll euch geflüstert sein: Die Welt ist ein besserer Ort, wenn Lydia Schwarz NICHT bastelt!

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This I believe – #1 Das Kreuz

Auf meiner Odyssee der Bestandsaufnahme, warum ich Christin bin und was ich glaube, stosse ich als Erstes auf das Kreuz. Ein zentraler Punkt des Christentums. Sein Symbol schlechthin.

Was ist das Kreuz?

Das Kreuz ist in unseren Breitengraden ein Symbol des Todes. Das Holzkreuz mit den goldenen Buchstaben, das ich auf dem Friedhof betrachte. Es jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken, weil es mich mit meiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert.

Vor zweitausend Jahren war das Kreuz ein römisches Werkzeug, um Gesetzlose hinzurichten. Jesus Christus wurde an diesen Holzpfählen zu Tode gefoltert.

Von Jesus Christus kann man sagen, dass er ein Gutmensch war, ein Rabbi, ein Prophet. Ich glaube, er ist der Sohn des allmächtigen Gottes. Jesus kam auf die Erde, um uns zu zeigen, wer Gott ist. Er war ganz Mensch und ganz Gott.

So lebte er und so starb er. An diesem Kreuz.

Ist das Kreuz heute noch relevant?

Ich glaube: Ja!

Einen Grundsatz dazu finde ich in der Bibel im Johannesevangelium in Kapitel 3, Vers 16. Da steht nämlich: „Denn Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht.“ (Neue Genfer Übersetzung)

Liebe ist hier im Spiel. Gott liebt uns. Wir sind ein Gedanke Gottes. Nach seinem Vorbild erschaffen.

Da ist die leere Stelle in meinem Herzen, diese Sehnsucht, die ich nicht benennen kann. Das Gegenstück zu dieser Sehnsucht, ist die Liebe von Gott, die über der Erde dräut und sich danach ausstreckt, der Leere in mir zu begegnen. Am Kreuz trifft sich die Sehnsucht Gottes mit meiner eigenen.

Einen zweiter, sehr ähnlicher Grundsatz zeigt sich im Matthäusevangelium, wenn Jesus sagt: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch plagt und von eurer Last fast erdrückt werdet; ich werde sie euch abnehmen.“ (NGÜ)

„Kommt alle!“ Das ist eine Einladung. Für alle.

An Ostern wird das Kreuz oft auf einem Hügel dargestellt. Aber wenn ich die Augen schliesse, sehe ich das Kreuz auf ebener Erde. Es ist für jede und jeden zugänglich. Um zum Kreuz zu gelangen muss man nicht auf einen Hügel der Leistung raufkraxeln. Jede und jeder ist eingeladen und darf kommen, wie er ist. Egal, welche Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder sexuelle Orientierung. Das Kreuz ist garantiert rollstuhlgängig.

Diese zwei Komponente, die Liebe und die Einladung, sind Kräfte, die stark genug sind, dass sie durch Raum und Zeit bis heute widerhallen. „Ich liebe dich! Komm zu mir!“

Gott streckt seine Hand aus. Immer noch. Durch das Kreuz wird das Unerreichbare greifbar. Das Unmögliche möglich.

Und die simpelste Antwort auf diese Einladung ist, diese Hand zu ergreifen.

Was bedeutet das für mich?

Am Kreuz findet ein Tauschgeschäft statt. Was bringe ich? Grosse Taschen voll mit Schamgefühlen und Versagen. Alles, was ich nicht gebacken kriege. Alles, was ich verstecke und woran ich beinahe ersticke. Alles, was mir eine Höllenangst einjagt. Alles, was ich nicht ertragen kann. Alles, woran ich zerbrochen bin. Alles, was auf meinen Schultern lastet, in meinem Nacken sitzt und mich zu Boden drückt. Mein verletztes Herz. Die Dunkelheit und Dämonen, die mich quälen. Dort beim Kreuz lege ich es ab.

Was erhalte ich dafür? Ein Geschenk: Ein neues, ewiges Leben.

Und die Hand Gottes führt mich auf den Weg, wo ich am Wegesrand die schönsten Blumen finde: Trost, Ruhe, inneren Frieden, Vergebung, Heilung von Verletzungen, Freiheit, Freude, Hoffnung auf eine Zukunft.

So kann das Kreuz der Dreh- und Angelpunkt meiner Geschichte werden.

Ich habe es selbst erlebt, diese Erlösung und die Erleichterung von einer Last befreit zu werden. Bis heute entdecke ich immer wieder, dass ich kein besserer Mensch bin, dass ich keine Leistung erbringen muss, dass ich mir das nicht verdienen kann. Es ist ein unverdientes Geschenk. Ich muss ich nicht abrackern, um zu Gott zu kommen. Gott kommt zu mir.

Am Kreuz darf ich versagen, ich darf mich fallen lassen, und wieder von vorne beginnen.

Und so wird aus dem Symbol des Todes, ein Symbol des Lebens im Überfluss.

Das ist mein Statement. Dafür schäme ich mich nicht. Das glaube ich.

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